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Jeder zweite Patient rutscht über Schmerzmittel in die Opioid-Sucht

Im Artikel von 20min gibt Dr. med. Patricia Manndorff Auskunft über die Problematik. Sie hilft mit OPIOSTOP seit über zehn Jahren Menschen, von ihrer Opiat-Abhängigkeit wegzukommen. Früher vor allem Drogenjunkies – heute immer mehr Schmerzmittel-Süchtigen.


Ein Fläschchen Tramadol und andere Schmerzmittel
Jeder zweite Patient rutscht über Schmerzmittel in die Opioid-Sucht


Darum gehts

  • Immer häufiger rutschen Menschen über ein Opioid-Schmerzmittel in eine Abhängigkeit.

  • Fachleute sind besorgt, weil es immer häufiger junge Menschen trifft – und die Zahlen stets steigen.

  • Patricia Manndorff hilft Menschen mit einer Opiat- oder Opioid-Abhängigkeit aus der Sucht.

  • Vor zehn Jahren waren es fast ausschliesslich Drogenabhängige. Jetzt kommen immer häufiger Menschen wegen einer Schmerzmittel-Abhängigkeit zu ihr.

Der Opioid-Konsum in der Schweiz nimmt stark zu. «Wir sehen in unseren internen Zahlen einen Anstieg von sehr jungen Konsumentinnen und Konsumenten in den letzten Jahren. Die Zahlen sind nicht alarmierend hoch, aber was uns nicht gefällt, ist, dass sie jedes Jahr etwas ansteigen», sagt Philipp Bruggmann, Co-Chefarzt Innere Medizin am Zürcher Zentrum für Suchtmedizin Arud.


Auch Patricia Manndorff, Fachärztin für Anästhesie und Intensivmedizin bei der Spitäler fmi AG und Gründerin von Opiostop, bemerkt den Anstieg. In dieser Funktion führt Manndorff seit 2012 Opiatentzüge am Spital Interlaken durch. «Vor zehn Jahren behandelte ich noch fast ausschliesslich Drogensüchtige. Heute sind 40 bis 50 Prozent meiner Patientinnen und Patienten Schmerzpatienten», sagt sie.


Diese Patientinnen und Patienten rutschen über legal verschriebene Opioide, etwa nach einer Operation, in eine Abhängigkeit ab. «Das teuflische an Opioiden ist, dass sie schon nach drei bis vier Wochen abhängig machen, weil der Körper keine eigenen, natürlichen Opioide, sogenannte Endorphine, mehr herstellt», sagt Manndorff. Bekommt jemand nach einer Operation also eine ganze Packung Opioide verschrieben und holt sich danach mit dem Rezept beim Hausarzt eine weitere, reicht das bereits, um eine Abhängigkeit zu entwickeln.


«Je länger die Abhängigkeit, desto härter der Ausstieg»

«Die Menschen geraten in eine Abwärtsspirale, weil sie eine Toleranz entwickeln: Sie werden abhängig und brauchen immer höhere Dosen, um denselben Effekt zu erzielen.» Je länger sich jemand in dieser Spirale befinde, desto schwieriger werde der Ausstieg, weil die Entzugssymptome immer schlimmer würden.


Die klassischen Stufen von Entzugserscheinungen beschreibt Manndorff so: «Es beginnt damit, dass die Augen tränen und die Nase läuft. Dann kommen heftiges Frieren und Schwitzen, gefolgt von einer enormen inneren Unruhe und Schlafstörungen. Danach beginnt der ganze Körper zu schmerzen, der Blutdruck und der Puls steigen an, die Atemfrequenz erhöht sich und im Extremfall kommt es zu Halluzinationen und epileptischen Anfällen.»


«Viele schämen sich, ihre Abhängigkeit einzugestehen»

Dass Menschen nach einer an und für sich harmlosen Operation in einen solchen Zustand kommen, kann laut der Ärztin verschiedene Gründe haben: «Jeder Mensch will schmerzfrei sein. Doch vielen ist schlicht nicht bewusst, wie schnell diese Mittel abhängig machen, auch Ärzten nicht.» Dazu komme: «Opioide lösen auch ein gewisses Wohlbefinden und eine leichte Euphorie aus. Darauf freiwillig wieder zu verzichten, wenn man noch Medikamente im Schrank hat, kann schwierig sein.»


Einmal abhängig, schämten sich viele Menschen, sich das einzugestehen: «Sie führten ein normales Leben, hatten davor nie Suchtprobleme.» Das führe dazu, dass man sich zu spät Hilfe hole und erst auf legalen, später teilweise auch auf illegalen Wegen versuche, sich die für die Befriedigung der Sucht nötigen Schmerzmittel zu besorgen.


«Nach einer OP darf es nicht einfach ein Rezept für Opioide geben»

Noch sei die Beschaffung auf der Gasse oder auf dem Schwarzmarkt ein Randphänomen: «Doch schon heute habe ich Patientinnen und Patienten, die astronomische Dosierungen zu sich nehmen, indem sie sich bei mehreren verschiedenen Apotheken und Ärzten eindecken. Die wissen davon natürlich nichts und können deshalb auch nicht eingreifen.»


Für Manndorff ist deshalb auch klar, wo angesetzt werden muss: «Es kann nicht sein, dass Patientinnen und Patienten nach einer Operation einfach ein Rezept für Opioide erhalten. Es braucht eine stärkere Regulierung, sodass Krankenhausärzte nicht einfach ein Rezept und eine ganze Schachtel Opioide mitgeben gegen die Schmerzen.»


Auch Brugmann sagt: «Ich sehe immer wieder, dass nach Operationen mehr oder weniger ungesehen Opioid-Schmerzmittel packungsweise mitgegeben werden. Vor der Abgabe gehört eine Befragung des Patienten auf Suchtfaktoren und -risiken dazu.» Dabei müsste etwa abgefragt werden, ob schon Suchterkrankungen vorliegen, beim Patienten selbst oder in der Familie. «Auch gewisse psychische Erkrankungen können ein Risikofaktor sein. Ein solcher Check ist für jeden Arzt und jede Ärztin zumutbar.»



Hast du oder hat jemand, den du kennst, ein Problem mit Suchtmitteln?


Hier findest du Hilfe:


Dieser Artikel von Redaktor Daniel Graf ist am 29.04.2023 in 20min erschienen. Hier geht's zum Original-Artikel.

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